Neuer Leitfaden zur aufsichtlichen Beurteilung der Risikotragfähigkeit

20.06.2018

Am 24.05.2018 hat die BaFin in Zusammenarbeit mit der deutschen Bundesbank den Leitfaden „Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte und deren prozessualer Einbindung in die Gesamtbanksteuerung („ICAAP“) – Neuausrichtung“ veröffentlicht.

Mit diesem Leitfaden trägt die nationale Aufsicht den Harmonisierungsbestrebungen des Einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus SSM Rechnung. Sie adaptiert zum einen weitestgehend den ICAAP-Teil der SSM-Leitfäden der EZB zu ICAAP und ILAAP für bedeutende Institute; zum anderen antizipiert sie auch bereits die erwarteten Regelungen für weniger bedeutende Institute unter Beachtung des Proportionalitätsprinzips.

Ausdrücklich wird auf den in Deutschland maßgeblichen Begriff des ICAAP hingewiesen, der laut neuem Leitfaden aus einem Risikotragfähigkeitskonzept mit einer Risikotragfähigkeitsrechnung und einer Kapitalplanung sowie ergänzenden Stresstests und der prozessualen Verknüpfung mit Strategie sowie Risikosteuerungs- und -controllingprozessen besteht. Die Rolle der Stresstests scheint also auf den ersten Blick im Vergleich zum Konsultationspapier geringer als die Kapitalplanung bewertet zu werden. Die Verzahnung mit RTF und Kapitalplanung darf allerdings vor dem Hintergrund der europäischen Papiere nicht unterschätzt werden. In ihrem Journal für den Monat Juni 2018 weist die Bafin als wesentliche Neuerung ausdrücklich auf angemessene Stresstests hin.

Die Ermittlung der Risikotragfähigkeit beruht künftig auf zwei Perspektiven, einer (neu eingeführten) normativen und einer (weiterentwickelten) ökonomischen Perspektive.

Bei der normativen Perspektive (maßgeblich ist die „Going Concern“ Annahme) wird das Risikodeckungspotenzial im Wesentlichen mit den regulatorischen Eigenmitteln angesetzt. Die Risikoquantifizierung basiert auf den regulatorischen Anforderungen insbesondere der CRR. Zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit muss jedes Institut eine Kapitalplanung über mindestens drei Jahre erstellen. Die Kapitalplanung beinhaltet – wie schon in AT 4.1 der MaRisk verankert – mindestens ein Basis- bzw. Planszenario mit erwarteten Veränderungen des Geschäftsmodells oder der strategischen Ziele und Markt- und Wettbewerbsveränderungen sowie bindenden oder bereits beschlossenen rechtlichen/regulatorischen Änderungen sowie (mindestens) ein adverses Szenario mit Planabweichungen.

In adversen Szenarien sind identifizierte Risiken aus der ökonomischen Perspektive umfassend quantitativ mit einzubeziehen. Zur Relevanz der Kapitalanforderungen und -empfehlungen aus Säule 1 und 2 (SREP) äußert sich die Bafin wie folgt: „Die sogenannte SREP-Gesamtkapitalanforderung (TSCR), die sich aus Säule I Anforderungen nach CRR und zusätzlichen Kapitalanforderungen nach SREP zusammensetzt, ist auch im adversen Szenario über den Planungshorizont einzuhalten, während die SREP-Kapitalempfehlung (die Pillar 2 Guidance P2G oder im Wortlaut des Leitfadens die Eigenmittelzielkennziffer) ebenso wie die kombinierte Kapitalpufferanforderung nach §10i KWG nur für das Planszenario verbindlich ist.“ In diesem Kontext lohnt sich auch nochmals ein Blick in den EZB-ICAAP-Leitfaden oder die EBA-Roadmap.

Die ökonomische Perspektive dient der langfristigen Sicherung der Substanz des Instituts. Das Risikodeckungspotenzial ist grundsätzlich unabhängig von den Bilanzierungskonventionen in der externen Rechnungslegung als Barwert sämtlicher Vermögenswerte und Verbindlichkeiten zu ermitteln. Aus Proportionalitätsgründen kann aber wie bisher auch von Bilanzgrößen (oder aufsichtlichen Kapitalgrößen) ausgegangen werden, wenn diese Größen in eine ökonomische Betrachtung überführt werden, insbesondere durch Berücksichtigung stiller Lasten und Reserven. Für die Quantifizierung der wesentlichen Risiken (Ermittlung erwarteter und unerwarteter Verluste) kommt ebenfalls grundsätzlich die Barwertmethode zum Tragen. Falls Vereinfachungen genutzt werden, spricht die BaFin nun von der „barwertnahen“ Methode. Nur ausdrücklich für „sehr kleine und zugleich wenig komplexe“ Institute kommt der „Säule I+-Ansatz“ in Frage. In diesem Fall sind zu den Risikowerten der Säule I vereinfachte Quantifizierungen für weitere wesentliche Risikoarten aus Säule II zu addieren, z. B. für Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch.

 

Abbildung 1: Umsetzungsmöglichkeiten der ökonomischen Perspektive
Quelle: RTF-Leitfaden, Abbildung 2, BaFin/Dt. Bundesbank, 24.05.2018

 

Beide Perspektiven sind in die Gesamtbanksteuerung zu integrieren und eng zu verzahnen. Das bedeutet, dass Risiken bzw. Erkenntnisse aus der ökonomischen Perspektive in der normativen Perspektive zu berücksichtigen sind und umgekehrt.

Zusätzlich zu der normativen und ökonomischen Perspektive gestattet die BaFin bis auf Weiteres die Anwendung der sog. „Going Concern-Ansätze alter Prägung". Sie empfiehlt diesen sog Annex-Instituten, „sich aber schon heute Gedanken darüber“ zu „machen, wie die neuen Ansätze sinnvoll in eigene Risikotragfähigkeitskonzepte transformiert werden können“. Wir empfehlen dies durchaus wörtlich zu nehmen.

 

fazit

Die notwendigen Anpassungen an den Risikotragfähigkeitskonzepten dürften sich für alle Institute umfangreich ausnehmen, auch wenn viele Elemente gerade der ökonomischen Perspektive dem heutigen Standard entsprechen. Neben der Ausgestaltung der adversen Szenarien und deren Zusammenspiel mit Stresstests ist vor allem die Verzahnung der beiden Perspektiven eine Herausforderung.

Auch vor dem Hintergrund der in Kürze erwarteten Verabschiedung der ICAAP/ILAAP-Leitfäden der EZB für weniger bedeutende Institute (LSI SREP) empfiehlt sich eine frühzeitige Umsetzung des RTF-Leitfadens.